Chemische Entsäuerung von Most und Wein

Vortrag von Udo Bamberger, DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück,
anläßlich der 55. Kreuznacher Wintertagung 2011


Der Umgang mit den Säuren in Most und Wein war in Diskussionen zum Jahrgang 2010 sicher das beherrschende Thema. Seit langen Jahren war man wieder einmal gezwungen, sich mit größeren Entsäuerungsspannen auseinander zu setzen. Dabei ging es auch nicht nur um deren Bewältigung alleine sondern der Jahrgang hatte darüber hinaus noch die ein oder andere Überraschung parat durch schwankende Weinsäure – Gehalte und durchaus merkwürdige Analysewerte bei der Bestimmung der Säurefraktionen.

Die Ausreife der Trauben ließ 2010 insgesamt zu wünschen übrig. Die Bedingungen zum Abbau der Weinsäure in der Traube waren mäßig, so dass zunächst relativ hohe Weinsäure – Gehalte gemessen werden konnten. Da auch die Apfelsäure bei kühlen Temperaturen über August / September hinweg weniger als sonst veratmet wurde, lagen die Gesamtsäurewerte sehr hoch. Die schnell einsetzende Botrytis griff danach sehr unterschiedlich in das Säuregefüge ein und veränderte die normalerweise üblichen Säureverhältnisse zu Ungunsten der Weinsäure. Je nach Reife, Rebsorte und Botrytisbefall kam es zu sehr unterschiedlichen Säurekonstellationen, so dass viele Weinsäure – Messungen und v.a. bei den mittelfrühen / mittelspäten Sorten notwendig wurden. Die Trockenphase im Herbst führte dann je nach Botrytisbefall zu einer weiteren Aufkonzentrierung der Säuren und letzten Endes zu Gesamtsäureverläufen, die häufig absolut aus dem Rahmen fielen. Eine intensive Planung und die Erstellung von Säurebilanzen waren in vielen Fällen unumgänglich. Die Weinsäure – Gehalte gingen z.T. so stark in den Keller, dass manchmal bereits im Most mit dem Doppelsalz – bzw. sogar mit dem Erweiterten Doppelsalzverfahren gearbeitet werden musste.

Bei ausreichender Weinsäure kann bzw. muss mit der Normalentsäuerung gearbeitet werden, denn hohe Weinsäure – Gehalte führen dazu, dass das Doppelsalzverfahren nicht funktioniert. In aller Regel geschieht diese Normalentsäuerung dann im Most mit CaCO3 – im Wein kann man alternativ auch bei kleineren Entsäuerungsspannen mit KHCO3 entsäuern. Sensorisch gibt es keine Unterschiede, da bei ausreichender Weinsäure alle zugesetzten Mineralstoffe – egal ob als Ca oder K - wieder ausfallen. Bei knapper Weinsäure liegen dagegen die geschmacklichen Vorteile aber eher auf Seiten der KHCO3 – Entsäuerung, da die Abpufferungswirkung weniger negativ zu Buche schlägt. Bei der Berechnung des anvisierten Säurezielwertes sollte ein Restweinsäure – Gehalt von 1,5 g/l nicht unterschritten werden, da sonst der Ausfall der zugesetzten Mineralstoffe unvollkommen bleibt und sich die Weine in der Folge zu weich und zu breit präsentieren.

Die Doppelsalzentsäuerung funktioniert gut, wenn man reaktionsfreudigen Kalk benutzt und das Verfahren vorschriftsmäßig durchführt. Selbstgestrickte Abwandlungen des Verfahrens führen schnell zu pH – Wert – Verschiebungen und damit nur zum Teilerfolg bzw. evtl. sogar zum Scheitern des Vorhabens. Problematisch dabei ist, dass selbst beim vollständigen Scheitern der ursprünglich anvisierte Gesamtsäurewert erreicht wird und ein Scheitern später nur am deutlich erhöhten pH – Wert erkennbar ist – sofern man noch danach sieht. Schnell wiegt man sich dann in Sicherheit, die Weinbereitung und die Sensorik geschieht aber bei erhöhten pH – Werten unter völlig veränderten Vorzeichen. Bei zu hohen Weinsäuregehalten (mehr als 1,8 x mehr Weinsäure als Äpfelsäure) funktioniert das Doppelsalzverfahren nicht (s.o.) und knapp darunter auch nur teilweise. Entsäuert man aber in 2 Stufen, d.h. zuerst eine leichte Normalentsäuerung um 1,5 -2 g/l zur Verminderung der Weinsäure und schaltet danach direkt die Doppelsalzentsäuerung nach, so stellt man fest, dass dann die Ausscheidung von Doppelsalzkristallen sehr gut läuft. Die Abtrennung der Doppelsalze aus der Teilmenge ist vollständig vorzunehmen, sonst wird das angestrebte Säureziel nicht erreicht. Da sich bei einer erfolgreichen Durchführung der Doppelsalztrub nicht oder nur schlecht absetzt erfordert die Abtrennung geeignete technische Möglichkeiten (s. Vortrag Dr. Marbé – Sans).

Die Erweiterte Doppelsalzentsäuerung wurde notwendig, wenn der Weinsäuregehalt im Most bzw. Wein zu gering war. Durch den in der Gärung stattfindenden Weinsteinausfall waren diese Verhältnisse im Wein eher notwendig als im Most. Bei diesem Sonderverfahren gibt man Weinsäure zusätzlich in die Teilmenge, um ein Mehr an Apfelsäure ausfällen zu können. Das Verfahren ist ein zweistufiges Verfahren, bei dem das Weinsäureprodukt nach der Teilmengendosage einfach der Teilmenge zugefügt wird. Die Weinsäurezugabe darf in allen Gebieten in RPL und im Rheingau in freier Form (Malitex) aber nur bei Riesling und Elbling eingesetzt werden – als homogenes Mischpräparat mit CaCO3 (Malicid oder Ersatzprodukte) jedoch bei allen Sorten und in allen Gebieten in Anwendung kommen. Die Labors haben dieses homogene Mischpräparat in diesem Jahr erstmals recht preisgünstig angeboten.

Wer im Most nicht entsäuert hat, hat nach der Gärung sicher geringere Entsäuerungsspannen zu bewältigen, er hat aber dann auch nur noch geringe Weinsäuremengen zur Verfügung und muss relativ schnell zur Doppelsalz- oder sogar zur Erweiterten Doppelsalz – Entsäuerung übergehen. Erst die genaue Weinsäureanalyse entscheidet über das Verfahren und die weitere Vorgehensweise. Der Entsäuerungstermin ist also ein wesentlicher Faktor bei der Ausbauplanung. Insgesamt kann man sicher sagen, dass bei der Entsäuerung im Jungwein alle Prozesse vorher mit weniger Risiko verbunden sind und evtl. handwerkliche Fehler leichter verziehen werden. Bei der Entsäuerung im Moststadium gibt es dagegen zwar leichter zu bewältigende Entsäuerungsspannen und auch sensorische Vorteile, gerade diese sind aber nur dann zu verzeichnen, wenn bis zur Abschwefelung alles optimal verläuft und sich keine mikrobiologischen Fehler einschleichen. So sind z.B. mostentsäuerte Weine äußerst sensibel und können sehr schnell schon ausgangs der Gärung in einen ungewünschten Säureabbau gehen. Auch die Gärunterbrechung verlangt bei höheren pH – Werten differenziertere Vorgehensweisen. Der Kontrollaufwand ist insgesamt nach einer Mostentsäuerung wesentlich höher als bei einer Jungweinentsäuerung.

Aus weingesetzlicher Sicht ist zu beachten, dass Jungweine bis zum 15.3. des auf die Ernte folgenden Jahres entsäuert sein müssen, Weine dürfen dagegen nur um 1 g/l in der Summe entsäuert werden - dies allerdings dann aber auch ganzjährig. Entsäuern dürfen auch grundsätzlich nur die Weinerzeuger. Wer also fertigen Fasswein verkaufen möchte, muss darauf achten, dass dieser schon entsprechend entsäuert ist. Käufer von fertigem Fasswein dürfen nicht entsäuern! Die Entsäuerung ist hier nur möglich, wenn Trauben, Maische, Moste oder Jungweine zugekauft wurden, aus denen im Betrieb Wein bereitet worden ist..

Die Festlegung des richtigen Säurezieles wird in diesem Jahr nicht einfach sein. Die mehr oder weniger starken Säureeingriffe haben die pH – Werte ansteigen lassen, so dass die Weine weniger sauer schmecken und auch deutlich stärker abgepuffert sind. Die Konsequenz wird sein, dass man sich in den meisten Fällen von den Analysewerten früherer Jahre trennen muss. Der Geschmack wird entscheiden müssen und nicht die Analyse! Wer in gewohnte Analysedimensionen entsäuert, wird schnell zu weiche und breite Weine erzeugen, denen die Lebendigkeit fehlt und die auch weniger lange haltbar sein werden. Auch werden die Mineralstoffgehalte nach einer Entsäuerung höher liegen als in anderen Jahren, was zur weiteren Abpufferung der Weine führt und die Weine weich und rund erscheinen lässt. Bei niedrigeren Erträgen und Botrytisvorkommen im Weinberg sind zudem die Extrakte im Wein erhöht, was zusätzlich nochmals zu einem Abrunden im Geschmacksbild führt. In der Praxis ist es daher wichtig, nicht grundsätzlich alles bzw. auch nicht alles immer auf die gleichen Werte zu entsäuern, sondern auch immer eine gewisse „Säurereserve“ im Betrieb zurück zu behalten. Die Fertigung einer Gesamtsäurebilanz über alle Weine wird also gerade in diesem Jahr von großer Bedeutung sein.

Höhere Mineralstoffgehalte sind in bestimmten Fällen sensorisch positiv zu bewerten. Meist werden sie aber in diesem Jahr kritisch zu sehen sein, da sie in zu großen Mengen vorkommen können. Neben den sensorischen Auswirkungen können sie aber auch für die Kristallstabilität der Weine von Bedeutung sein. Sie können ausfallen, wenn Weinsäure als Reaktionspartner vorhanden ist. Dies ist in Form von Weinstein (KH- tartrat) oder auch in Form von Ca – tartrat möglich. Solange stark entsäuerte Weine nur noch geringe Restweinsäuregehalte haben, stabilisieren sich diese Weine mit der Wartezeit ohne weitere Auskristallisation. Werden aber später zu diesen stark entsäuerten Weinen Partner gegeben, die noch deutlich mehr Weinsäure (v.a. bei Süßreserven zur Süßung) enthalten, so kommt es zur erneuten Reaktion und Ausscheidung weiterer Kristalle. Es können dann je nach Kälte wieder Weinstein oder aber über einen Zeitraum von 6 – 8 Wochen temperaturunabhängig Ca – tartrat ausfallen. D.h. ein in sich kristallstabiler Wein kann u.U. durch den Verschnitt bzw. die Süßung wieder hoch instabil werden. Diese Zusammenhänge müssen in diesem Jahr beachtet werden, um später vor Kristallausscheidungen in der Flasche geschützt zu sein. Eine rechtzeitige Verschnitt- und Süßeplanung über alle Weine des Betriebes ist also mehr als ratsam.

Höhere pH – Werte haben auch immer Einfluss auf die SO2 – Bilanz der Weine. Bei der dann geringeren Wirksamkeit der SO2 sind daher höhere Freie SO2 – Werte im Wein einzuplanen, um letztlich ausreichenden mikrobiologischen Schutz zu haben. Bei der Flaschenfüllung muss mit äußerster Sorgfalt gearbeitet werden – u. U. wird es sogar sinnvoll sein, mit einer Membranfiltration (s. Vortrag Dr. Marbé – Sans) für eine ausreichende mikrobiologische Sicherheit auf der Flasche zu sorgen.

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