Oenologische Aspekte zur flüchtigen Säure - Entstehun, Bestimmung, Maßnahmen

Vortrag von Ulrich Hamm, DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück,
anlässlich der 59. Kreuznacher Wintertagung 2015

Der Jahrgang 2014 war gezeichnet durch ein trockenes, warmes Frühjahr / Frühsommer und schwierigen, von Niederschlägen geprägten Reifebedingungen im August / September. Der hohe Fruchtansatz und die schwankenden Witterungsbedingungen führten letztendlich zu sehr weichen empfindlichen Beerenschalen, welche zum Teil bereits in einem sehr frühen Reifestadium aufplatzten. Verschärft wurde dieses Problem durch eine hohe Population an verschiedenen Insektenarten. Hierdurch waren die Grundlagen für den „flüchtige Säurejahrgang 2014“ gelegt. Doch was verbirgt sich eigentlich genau hinter dem Begriff „flüchtige Säure“ und welche oenologischen Maßnahmen sind geeignet um dieses Problem einzugrenzen und fehlerfreie Weine zu erzeugen?

Unter der flüchtigen Säure versteht man die Summe jener Fettsäuren, welche sich aus dem Wein leicht verflüchtigen können. Die dabei mengenmäßig am meisten vorkommende Säure ist die Essigsäure, gefolgt von Ameisensäure, Propionsäure und weiteren Fettsäuren sowie deren Ester.

Abgefüllte Weine enthalten im Normalfall zwischen 0,2 g/L und 0,5 g/L flüchtige Säure. Im aktuellen Jahrgang lagen bereits Moste über diesen Gehalten. Dies verdeutlicht, dass bereits durch die Entstehung in den Trauben die Grundlage für die vorhandenen Konzentrationen im füllfertigen Wein gelegt wurde. Auch wenn in den letzten Jahren häufig die flüchtige Säure als ein rein oenologisches Problem bezeichnet wurde, zeigt gerade der Jahrgang 2014, dass die Traube als eine wichtige Quelle mit berücksichtigt werden muss.

Entstehung der flüchtigen Säure

Die Grundvorrausetzung für die Bildung ist, dass Saft aus den Beeren austritt: Oder vor allem durch Insekten die Beerenschale durchbrochen und das Fruchtfleisch mit Mikroorganismen infiziert wird. Die eigentliche Bildung der flüchtigen Säuren erfolgt dann über den Zuckerabbau durch Hefen und die Umwandlung der Zwischenprodukte zur Essigsäure durch Essigsäurebakterien. Bei vorgeschädigtem Traubenmaterial steht dem zufolge Zucker als Nahrungsgrundlage für die aeroben Essigsäurebakterien in ausreichender Menge zur Verfügung und es kommt zwangsläufig zu einer Massenvermehrung sowohl von Hefen als auch von Bakterien. Dies bedeutet zum einen eine gegebene Grundbelastung, aber auch eine sehr hohe Mikroorganismendichte welche in der weiteren Traubenverarbeitungskette (Lese, Transport, Kelterung und Mostverarbeitung) weiterhin flüchtige Säure nachliefert.

Mit Beginn der alkoholischen Gärung liegen im Most reduktive Bedingungen vor und der oben beschriebene Bildungsweg ist zunächst unterbrochen. Jedoch sind vor allen Dingen „Wildhefen“ und Milchsäurebakterien in der Lage, während einer schleppenden bzw. unterbrochenen Gärung deutliche Mengen an flüchtiger Säure zu erzeugen. Dies gilt insbesondere wenn ein spontaner biologischer Säureabbau bei höheren pH-Werten (pH>3,4) und größeren Mengen an Restzucker (>5 g/L) in Gang kommt. In diesen Fällen ist die Entstehung von mehr als 1 g/L flüchtige Säure und damit der Weinverderb keine Seltenheit.

Eine weitere Entstehung von flüchtiger Säure nach der Gärung / BSA ist möglich, wenn oxidative Verhältnisse vorliegen und es erneut zu einer Aktivität von Essigsäurebakterien kommt. Dies sollte aber bei einer praxisüblichen Verarbeitungsweise (Spundvolle Gebinde und vernünftiger SO2-Einsatz) eher ein theoretisches Risiko darstellen.

Bestimmung der flüchtigen Säure

Für die aussagekräftige Bewertung des Lesegutes, der Moste oder Weine ist bei den Probenahmen unbedingt darauf zu achten, dass eine repräsentative Durchschnittsprobe gezogen wird. Andernfalls ist der Analysewert, unabhängig von der Analysemethode, lediglich ein zufälliger Einzelwert ohne eine sichere Aussage für die Gesamtmenge. Dies ist bei Trauben- oder Maischeproben auf Grund ihrer inhomogenen Zusammensetzung ein gravierendes Problem. Daher sind in diesem Fall Wiederholungsproben unumgänglich um verlässliche Werte zu erhalten. Ein weiterer Punkt welcher beachtet werden muss, ist der Zeitpunkt der Probenahme. Im aktuellen Jahrgang konnte in zahlreichen Fällen beobachtet werden, dass aus einer frühen Probennahme deutlich höhere Gehalte an flüchtiger Säure ermittelt werden konnten, als nach einer längeren Maischestandzeit oder gar im abgepressten Most. Dies ist auch letztendlich einfach zu erklären, da aus vorgeschädigten, belasteten Beerenbestandteilen der Saft einfacher austritt als aus intakten Zellverbänden. Eine zuverlässige Probe ist demzufolge eigentlich erst ab dem Moststadium zu realisieren.

Auch bei den Analysemethoden sind Unterschiede zu berücksichtigen. So ist die häufig eingesetzte FTIR-Analyse als indirekte Methode durchaus anfällig für Störungen, vor allem wenn wie 2014 Proben aus einem bislang nicht vergleichbaren Jahrgang mit entsprechender stofflicher Zusammensetzung stammen. Dies hat zu Beginn der Lese häufig zu erhöhten Werten geführt. Genauer sind die direkten Methoden (Destillation, Enzymatik) wenn die entsprechende Probenvorbereitung und Analysevorschrift eingehalten wird.

Wahrnehmung und Grenzwerte

Die allgemein bekannten gesetzlichen Grenzwerte,
    1,08 g/L bei Weißwein und Roséwein
    1,20 g/L bei Rotwein
    1,80 g/L bei Beerenauslese und Eiswein
    2,10 g/l bei Trockenbeerenauslese
definieren zwar analytisch die Verkehrsfähigkeit der Weine, spielen aber in der Diskussion um den Weinfehler eine eher untergeordnete Rolle. Entscheidend ist letztendlich die negative sensorische Wahrnehmung im Most oder Wein. Hierbei müssen sowohl die flüchtigen Säuren als auch das Ethylacetat berücksichtigt werden. So werden bei leichten, neutralen Weissweinen oft schon 0,5 g/L flüchtige Säure als Fehlton empfunden, während bei gehaltvolleren, aromatischen Weissweinen häufig bis zu 0,8 g/L flüchtige Säure nicht beanstandet wird. Im Rotweinbereich ist die Wahrnehmungsschwelle meist um 0,2-0,3 g/L höher anzusiedeln. Die flüchtige Säure wird in erster Linie geschmacklich durch ein kratzendes Gefühl beim Schlucken des Weines bemerkbar, während das Ethylacetat geruchlich als „Lösungsmittelton“ beschrieben wird. Je nach Weinart wird Etylacetat bereits ab ca. 50 mg/L wahrgenommen.

Kontrolle der flüchtigen Säure bei der Weinbereitung

Die größte oenologische Herausforderung im Jahrgang 2014 war häufig, die bereits erhöhten Ausgangsgehalte an flüchtiger Säure zu kontrollieren und eine weitere Zunahme so gering wie möglich zu halten. Hierzu wurden dann schnell zahlreiche „Wundermittel und Geheimrezepte“ kommuniziert. Die Wirksamkeit war aber bei nüchterner, wissenschaftlicher Betrachtung meist nicht gegeben. Das einzig erfolgversprechende Rezept war eine konsequente, auf Sauberkeit und Sicherheit bedachte Kellerwirtschaft, von der Traubenverarbeitung über die Gärung bis hin zur Stabilisierung der Jungweine. Durch eine schnelle Traubenverarbeitung bei möglichst kühlen Temperaturen und Maische- bzw. Mostschwefelung wird die Vermehrung der Mikroorganismen bereits eingeschränkt. Eine scharfe Vorklärung reduziert deutlich die Population der Hefen und Bakterien und ermöglicht somit eine kontrolliert, geführte Gärung. Eine Reduktion der flüchtigen Säure durch Vorklärungsmaßnahmen oder spezielle Schönungsmittel ist nicht nachvollziehbar. Wohl aber die deutliche Reduzierung der Mikroorganismmendichte. Für eine „saubere“ Gärung ohne unerwünschte Bildung von Nebenprodukten, ist der Einsatz von gärstarken Reinzuchthefen in ausreichender Menge unumgänglich. Gleichermaßen muss auch die Nährstoffversorgung der Hefen sichergestellt sein. Gärförderung und Reduktion von flüchtiger Säure während oder am Ende der Gärung, durch den Einsatz von Sauerstoff ist kritisch zu beurteilen und kann im Einzelfall auch zu eine verstärkten Bildung von Essigsäure führen. Nach der Gärung ist eine schnelle Stabilisierung der Weine durch eine ausreichende Schwefelung unbedingt zu empfehlen.

Behandlungsmaßnahmen

Die Behandlung bzw. Weiterverarbeitung von vorbelasteten Jungweinen kann grundsätzlich nach drei Strategien und deren Kombination erfolgen, solange die gesetzlichen Grenzwerte noch nicht überschritten sind.

1. Verschnitt:
Die einfachste und produktschonendste Vorgehensweise ist der Weinverschnitt soweit bis die flüchtige Säure nicht mehr als sensorisch negativ beurteilt wird. Dies ist jedoch unbedingt in einem Vorversuch durchzuführen und sollte vor der Durchführung möglichst mehrfach von erfahrenen Verkostern überprüft werden. Beachtet werden muss hierbei auch dass die Weine bereits blank und schwefelstabil sind um eine sichere Beurteilung vornehmen zu können. In trüben Weinen unmittelbar nach der Gärung lässt sich die flüchtige Säure nur unzureichend erkennen und beurteilen.

2. Maskierung der flüchtigen Säure
Durch Hefeschönungen bzw. Schönungsmittel auf Hefebasis lassen sich im Einzelfall leichte Fehler maskieren, vor allem wenn es sich fast ausschließlich um flüchtige Säure handelt. Bei erhöhten Gehalten an Ethylacetat ist diese Vorgehensweise in der Regel wirkungslos. Ähnliches kann zum Teil auch durch den Einsatz von Holz oder Tannin erreicht werden, wobei auch hier keine Wunder erwartet werden dürfen. Vorversuche sind auch hierbei obligatorisch.

3. Entfernung der flüchtigen Säure
Eine sichere Entfernung der flüchtigen Säure ist ausschließlich mittels physikalischer Verfahren möglich. Hierbei ist auf die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen zu achten. In der Praxis erfolgt dies über drei verschiedene, voneinander unabhängige Schritte: Über die Umkehrosmose mittels einer Ultrafiltermembran wird vom Wein ein Gemisch aus Wasser, Essigsäure, Ethylacetat und Milchsäure (Permeat) abgetrennt. Dem Permeat werden durch einen Anionenaustauscher die Säuren entzogen und anschließend wird dieses entsäuerte Permeat zum Wein zurückgeführt. Dieses kostenintensive Verfahren (~0,15-0,2 €/L) beansprucht die Weine recht stark und führt zu deutlichen Qualitätsverlusten. Daher ist die Anwendung der Umkehrosmose nur in wenigen Ausnahmefällen sinnvoll.

59_4_Hamm.pdf59_4_Hamm.pdf